Schule und Unterricht zu Kriegszeiten
Ein vaterländisches Betätigungsfeld, unterwegs zum "Endsieg"
Erinnerungen des Lothar Sonntag
Meine Klassenkameraden hatten teilweise sehr lustige Spitznamen, neben der „Geiß“, dem „Bethli“ und der „Schmittebieri“ gab es noch „de Bootschi“, „de Bob“, „de Pongo“, „de Kloobe“, „de Nueli“, „de Bueli“ (mein Name), „de Foni“, „de Bayer“, „de Birg“, „de Lord“, außerdem waren da noch „Granitsepp“, „Geggeg“, „Toni“, „Didi“, „Begg“, „Linus“, „Muck“ und was sonst noch ...
Eine hörgeschädigte Mitschülerin war voll integriert in der Klasse, einige Mädchen konnten sich mit ihr in der Gebärdensprache unterhalten. Besonders ausgezeichnete Schülerinnen durften dem gehbehinderten Lehrer den Stoß von ca. 40 Deutschheften nach Hause tragen, einige Buben hatten das freiwillige Vergnügen, 5 Zentner Briketts in des Lehrers Keller zu schleppen und aufzustapeln. Lohn: 1 Marmeladebrot.
Außer Deutsch, Rechnen, Religion gab es nur wenige Fächer. Heimatkunde mit südbadischen Berg- und Flussnamen und einigen heimischen Tierarten. In den wenigen Musikstunden wurden Volkslieder gelernt, wobei der Lehrer auf der Geige fiedelte. Die ersten Lieder, die wir lernten, hatten ziemlich traurige Melodien: „Oh, wie ist es kalt geworden, und so traurig öd und leer.... „ und ein weiteres jahreszeitgemäßes: „Bunt sind schon die Wälder, gelb die Stoppelfelder ....“.
Höhepunkte, leider nur selten, waren das Vorführen von schwarz/weiß Schmalfilmen, z.B.: „Der Hase und der Igel“ sowie „Kreidegewinnung auf der Insel Rügen".
Religion wurde fast immer vom Stadtpfarrer Brunner unterrichtet. Das Auswendiglernen des Katechismus kostete viel Zeit und war schwierig. Viele Stunden wühlten wir in biblischen Geschichten im Alten Testament, die 10 Gebote wurden uns wortwörtlich eingebläut, indem Pfarrer Brunner auf der ersten Bank saß und deklamierte: „Du sollst nicht ehebrechen“, mit der Faust auf Karli’s Kopf einhämmerte, der bei jedem Schlag tiefer in der Bank versank. In der Pause lehnte der Geistliche am östlichen Etagenfenster und entzündete seine Tabakspfeife mit dem Brennglas, sofern die Sonne schien.
Die Mädchen hatten noch Handarbeitsstunden in einem extra Raum zu absolvieren. Sportunterricht fand selten statt, immer auf dem Schulhof. Er bestand darin, dass die in Reihe angetretenen Jungen auf Kommando unseres körperbehinderten Lehrers und Weltkriegsveteranen Rumpfbeugen und Armkreisen machten, was aber nie sehr lange dauerte. Unser Lehrer wurde schnell müde und wir konnten endlich frei auf dem Platz herumrasen.
Sportschuhe oder -kleidung hatte keiner. Im Sommer gingen einige barfuß in die Schule. Kleidung war immer und für alle ein Problem. Unsere Schuhe hatten schnell verschleißende Holzsohlen, das Benageln mit dickköpfigen Holzschuh-Nägeln beherrschte fast jeder Junge. Schuhersatz gab es nur noch für Rüstungsarbeiter oder versorgungswichtige Landwirte. Schuhbändel? - Fehlanzeige!
Zusätzlich zu den holzwolleähnlichen Socken gebrauchten wir in strengen Wintern noch Fußlappen. Sie bestanden aus quadratischen 40 cm-Stofflappen, auf die man diagonal den Fuß setzte, den vorderen Zipfel über die Zehen schlug, beide Seitenzipfel überm Fuß kreuzte und hinter der Ferse verknüpfte, wobei der hintere Zipfel unter dem Knoten hochgezogen wurde. Übliche Kopfbedeckung war entweder eine wollene „Bollekapp“ oder ein gestricktes Schafwoll- Stirnband mit oben gekreuzten Querbändern. Ganz Glückliche hatten eine schwarze Schikappe mit Ohrenschutz (Gebirgsjäger-Modell).
Lange Hosen hatten wir auch im Winter keine, dafür verfluchte, kratzende, lange Wollstrümpfe, welche knapp bis unter die kurzen Hosen reichten und mit einem breiten Gummiband am Hosenträgerknopf befestigt waren. Mit dieser Bekleidung gingen wir auch Ski- oder Schlittenfahren, der Schnee stiebte oft ans blanke Hinterteil.
Das dritte und vierte Schuljahr brachte einiges an Abwechslung: Auf das Schuldach wurde ein riesiges Rotes Kreuz aufgemalt und im obersten Stockwerk ein Lazarett eingerichtet, die verwundeten Soldaten des Frankreich-Feldzugs wurden die Treppen rauf- und runtergetragen und die Kochschule im Kellergeschoss war zur Gulaschkanone umfunktioniert.
Unsere Klasse wurde ein paar Mal nachmittags in ihrem Zimmer zu Rüstungsarbeiten eingeteilt, die Mädchen zum Fransen beschneiden der ausgestanzten Hosenträger-Patten, die Buben zum millimetergenauen Abisolieren von kurzen Isolierdrahtbündeln für den Flugzeugbau. Ein paar Damen vom NS-Frauenbund hatten die Aufsicht und strickten Socken für die Soldaten.
Gelegentlich gab es Vorträge von genesenden Soldaten auf Heimaturlaub, die etwas von der Front erzählten, jeden Tag musste abwechselnd ein Schüler das Kriegstagebuch fortführen anhand von Frontberichten aus der Tageszeitung. Briefe an Hausacher Kriegsverwundete wurden geschrieben und dieselben im Lazarett Gengenbach besucht.
Mittlerweile waren auch einige Schulkinder aus Westdeutschland im Ort einquartiert und in die Klassen integriert. Eine einzige Klassenwanderung führte an einem heißen Sommernachmittag nach Fischerbach zur “Krone“. Wer Geld hatte, konnte sich dort einen Zitronensprudel leisten, ansonsten stapften wir unterhalb im Bach herum und machten Wasserspiele.
Zum Freizeitvergnügen (verordnet von der Kreisleitung) gehörte klassenweise das Sammeln von Heilkräutern, jeder hatte Schere und Korb mitzubringen, und dann Abmarsch in den Wald, auf die Felder, auf die Bäume. Die gesammelten Brombeer- und Himbeerblätter, Fingerhutblätter, Silbermänteli, Lindenblüten und Katzenwedel (Zinnkraut / Schachtelhalm) wurden auf dem staubigen Schulspeicher-Boden getrocknet.
Mithilfe bei der herbstlichen Kartoffelernte und das Sammeln von Altmaterial wie Papier, Knochen und Altmetall gehörte ebenfalls zu den Aktivitäten, die für alle Schüler angeordnet wurden. Das Bekämpfen der Kartoffelkäferplage, das Absammeln der Käfer und Larven sowie das Bestäuben mit Giftpuder war ein weiteres vaterländisches Betätigungsfeld zum Endsieg.
Ein halbes Dutzend meiner zehnjährigen Klassenkameraden machten außerdem noch freiwillig Dienst bei den Pimpfen, wo wir Marschieren, Soldatenlieder singen und Staatskunde lernten, gelegentlich gab es Geländespiele oder Sportwettkämpfe der NS-Jugendorganisation. Nicht alle Pimpfe hatten Uniformen, denn Kleider und Stoffe, ebenso wie Lebensmittel, waren streng rationiert.
Freizeitsport bestand im Sommer aus Ringtennis spielen auf der verkehrsfreien, ungepflasterten Straße, baden im Fluss oder Kanal, und am liebsten Fußball kicken mit Nachbarskindern und Schulkameraden. Der einzige Lederball weit und breit war ein Geschenk unseres Onkel Fritz.
Text: Lothar Sonntag, Weil / Bild städt. Archiv / digit. Bearbeit.: Bernd Schmid